Der Leitsatz von Hochbegabung ist „Mehr denken, mehr fühlen, mehr wahrnehmen“. Denn Hochbegabung macht Kinder und Erwachsene nicht zu etwas Besserem oder Besonderem. Ihre Gehirnstrukturen machen einfach „mehr“ möglich. Auf den ersten Blick hört sich das fantastisch an. Nicht umsonst werden hochbegabte Kinder gerne zu Höchstleistungen von den Eltern angetrieben.
Hier findet ihr den Hauptbeitrag: Mehr denken, mehr fühlen, mehr wahrnehmen
Doch leider funktioniert das oftmals gar nicht, denn mehr denken kommt automatisch mit mehr fühlen und auch mehr wahrnehmen. So treffen Enttäuschungen aufgrund des Scheiterns tiefer und auch die Reaktionen der Umgebung nehmen Hochbegabte viel intensiver auf.
Mehr denken – Ein Beispiel: Der Baum
Meine Therapeutin hat mir folgendes Beispiel für das Thema mehr denken gegeben:
Wenn ich Ihnen sage, dass Sie an einen Baum denken sollen, woran denken Sie?
Ein „normaler“ Mensch denkt an den Baum. Seine Denkstrukturen sind geradlinig, er nimmt eine Information nach der anderen auf.
Ich und meine Mit-Hochbegabten denken an das System Baum: Wie ist er aufgebaut, wo befinden sich die Wurzeln, was ist die Funktion der Wurzeln. Da ich persönlich Bäume liebe, wüsste ich auch sehr gerne, über welchen Baum wir denn eigentlich reden? Ist es ein Nadelbaum, ein Laubbaum oder doch ein Strauch, den man höher hat wachsen lassen, wie einen Baum. Denn abhängig von der Baumart kann ich mir dann tatsächlich auch ein Bild von einem Baum machen.
Ihr seht: Es wird schnell kompliziert und vor allem für Außenstehende überhaupt nicht nachvollziehbar. Und genau dieses Phänomen haben ALLE Hochbegabte in absolut ALLEN Situationen. Ihre Gedanken kreisen, sie überlegen und analysieren, was das Gegenüber nun eigentlich hören möchte. Dabei schwirren die Gedanken fast schon in Lichtgeschwindigkeit. Während also meine Therapeutin (wenn es schlecht läuft) 15 Sekunden lang auf eine Antwort wartet, überlege ich angespannt, was sie denn nun für eine Antwort erwartet.
Mehr fühlen – Der Frust baut sich auf
Nun könnte man ja meinen, ich frage nun meine Therapeutin, was sie mit dieser Frage möchte. Doch seien wir mal ehrlich: Wenn ihr einer Person eine einfache Frage stellt, dann erwartet ihr eine kurze und schnelle Antwort. Aber die werdet ihr von Hochbegabten nicht bekommen.
Denn während wir also nachdenken, welchen Baum das Gegenüber meint, wissen wir, dass Zeit verstreicht, ohne dass wir einen Laut von uns gegeben haben. In uns selber wächst der Frust: Warum kann mein Gesprächspartner nicht einfach eine konkrete und klare Frage stellen? Weiß der denn nicht, dass der Baum Teil des Ökosystems ist und einzeln überhaupt nicht betrachtet werden kann?
Und zu diesem Frust gesellt sich dann auch Angst: Was passiert, wenn ich jetzt auch noch (ziemlich spät) das Falsche antworte? Wenn ich nämlich dabei einen Fehler mache, zeige ich, dass ich mich mit Bäumen gar nicht gut genug auskenne. Wie denn auch? Alleine in Deutschland wurden 51 verschiedene heimische Baumsorten im Wald registriert.
Aber diese Angst wird gesteigert, denn: Mein Gesprächspartner wird von mir wahrscheinlich immer frustrierter. Das kenne ich schon, weil ich diese Erfahrung mit anderen Menschen so oft gemacht habe!
Mehr wahrnehmen – Das große Abchecken
Um sicher zu gehen, dass mein Gegenüber nicht gleich ausrastet vor Frust, weil ich keine adäquate Antwort bekomme, schaue ich ihn mir genau an. Was sagt sein Gesicht: Ist es noch neutral? Sind die Augenbrauen gehoben oder sogar zusammengezogen? Wie ist die Haltung dieser Person? Streckt sie sich, um ihren eigenen Frust abzubauen? Oder wird sie gleich verbal ausholen?
Denn Fun Fact: Hochbegabte sind auch immer hochsensibel. Ihnen fällt alles auf, was die Menschen um sie herum machen. Sie sind fast schon Experten in Sachen Körpersprache und Mimik.
Doch genau hier liegt das Problem: Während ich also innerlich immer frustrierter und verunsicherter bin, erwarte ich von meinem Gegenüber, dass er negativ reagiert. Es ist ja schon sehr oft genauso passiert, warum sollte es jetzt anders sein?
Aus diesem Grund nehmen Hochbegabte zwar vieles wahr. Doch diese eigentlich einfache Ausganssituation: „Wenn ich Ihnen sage, dass Sie an einen Baum denken sollen, woran denken Sie?“ könnte eskalieren. Weil wir oft mit Angriff und Anfeindungen rechnen und deshalb oft vorschnell interpretieren und urteilen (auch oder vor allem uns gegenüber).
Lass mich deine Story hören! In welchen Situationen passiert dir mehr denken, mehr fühlen, mehr wahrnehmen?
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data-pin-description=“Mehr denken, mehr fühlen, mehr wahrnehmen – Ein Beispiel aus dem Alltag. Hochbegabung und Hochsensibilität bedeutet von allem ein wenig (bis sehr viel) mehr. Normale, zwischenmenschliche Situationen können schnell zu einer Belastung werden, wenn das Gedankenkarussell zu Frust und Missverständnissen führt.“